Kurzbeschreibung:
Die primäre Myelofibrose gehört zu den myeloproliferativen Neoplasien (MPN) und ist charakterisiert durch eine Proliferation der Megakaryozyten und der granulopoietischen Reihe. Die Megakaryozyten produzieren verschiedene Zytokine, die zu einer Vermehrung der Fibroblasten und zunehmenden Fibrosierung des Knochenmarks führen. Daraus resultiert ein progredientes Knochenmarkversagen mit Panzytopenie und leukoerythroblastärem Blutbild. Typisch ist die extramedulläre Blutbildung, vor allem in der Milz, mit oft massiver Splenomegalie. In ca. 50% der Patienten kann eine JAK2 V617F-Mutation, in 35% eine Mutation von Calreticulin (CALR) und in 5-10% eine Mutation des Thrombopoietinrezeptors MPL nachgewiesen werden.
Klinisches Bild:
Das mittlere Alter beträgt 67 Jahre. Nur 5% der Patienten sind jünger als 40 Jahre und 17% jünger als 50 Jahre. Die Inzidenz beträgt ca. 0.5/100'000/Jahr. 30% der Patienten sind bei Diagnose asymptomatisch und werden zum Beispiel bei einer Check-up-Untersuchung aufgrund einer vergrösserten Milz diagnostiziert. Eine Splenomegalie findet sich in >95% der Patienten. Oft ist die Milz riesig und geht bis ins kleine Becken. Patienten leiden unter Völlegefühl, Bauchschmerzen und frühem Sattheitsgefühl. Eine Hepatomegalie findet sich in 40% der Fälle. Charakteristisch für die PMF sind sehr ausgeprägte, z.T. invalidisierende Allgemeinbeschwerden wie Müdigkeit, Schwäche, Atemnot, Gewichtsverlust, Nachtschweiss, Fieber und Juckreiz. Ähnlich häufig wie bei der essentiellen Thrombozythämie kommt es zu arteriellen und venösen Thrombosen. Ca. 4% der Fälle gehen im Verlauf in eine akute myeloische Leukämie über.
Pathomechanismus:
JAK2 V617F, MPL-Mutation und CALR-Mutationen sind sogenannte "Driver"-Mutationen, die direkt den Phänotyp einer gesteigerten Megakaryopoiese herbeiführen. Der Thrombopoietinrezeptor MPL und JAK2 sind dabei Teil des wichtigen Signalweges, der die Megakaryopoiese antreibt. Der genaue Funktionsmechanismus der CALR-Muatationen ist noch unklar. Es wird heute davon ausgegangen, dass mindestens in einem Teil der Patienten weitere Mutationen notwendig sind, um die Krankheit auszulösen. Noch ungenügend wird verstanden, weshalb die gleichen Mutationen unterschiedliche Krankheitsbilder (PMF, ET oder PV) hervorrufen können.
Therapie:
Die einzige kurative Methode ist die allogene Stammzelltransplantation, welche aber nur in fortgeschrittenen Stadien in einem Teil der Patienten in Frage kommt. Die Splenomegalie und die Allgemeinsymptome können erfolgreich mit dem JAK1/2-Hemmer Ruxolitinib (Jakavi) behandelt werden. Dadurch kann die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessert werden.
Hämatologie:
In der Frühphase besteht oft eine Thrombozytose und Neutrozytose, im späteren Verlauf kommt es zur Panzytopenie. Typisch ist ein leukoerythroblastäres Blutbild und eine oft sehr ausgeprägte Anisozytose und Poikilozytose mit Tränenformen der Erythrozyten. Gelegentlich finden sich Megekaryozytenkernreste. Die Thrombozyten sind hypo- oder agranulär und vergrössert mit Riesenplättchen. Im Spätstadium können myeloische Vorstufen und Blasten zunehmen.
Knochenmark
Beim Knochenmarkaspirat kann wegen der Fibrose meist kein Material gewonnen werden. Man spricht von einer Punctio sicca. In der Frühphase zeigt das Aspirat eine gesteigerte Megakaryo- und Granulopoiese.
In der Knochenmarkbiopsie kann mit zunehmendem Krankheitsverlauf bei initial gesteigerter Zellularität und Granulopoiese eine progrediente Hypozellularität und zunehmende Retikulin- und Kollagenfibrose beobachtet werden. Im Endstadium können hämatopoietische Zellen fast vollständig fehlen.
Die Megakaryozyten sind stark gesteigert und liegen in grossen Clustern dicht beieinander. Auffällig ist zudem ihre Gefäss- oder Trabekel-nahe Lage. Morphologisch sind die Megakaryozyten gross und hyperlobuliert, oft mit hyperchromatischen Kernen durch Chromatinverklumpung. Das Kern/Zytoplasma-Verhältnis ist erhöht. Typisch ist ein wolkiger oder Ballon-artiger Aspekt der Zellen ("cloud-like" megakyryocates). Charakteristisch sind auch dilatierte Knochenmarksinus mit intravasal liegenden hämatopoietischen Zellen, insbesondere Megakaryozyten. Die Knochentrabekel können verdickt sein.
Diagnose:
Gemäss der WHO 2008-Klassifikation kann eine primäre Myelofibrose diagnostiziert werden, falls alle drei Hauptkriterien und zwei Nebenkriterium erfüllt sind.
Hauptkriterien
Nebenkriterien