Kurzbeschreibung:
Die Sichelzellanämie (SCA) gehört zu den Hämoglobinopathien. Eine Punktmutation des β-Globin-Gens führt zu einer Substitution von Glutaminsäure durch Valin an sechster Stelle der Globinkette (β6Glu->Val). Zusammen mit zwei α-Globin-Ketten bildet sich ein abnormes Hämoglobin, das sogenannte Hämoglobin S. Deoxigeniertes HbS neigt dazu, zu langen Polymeren zu aggregieren. Die Erythrozyten verlieren dadurch ihre Deformierbarkeit und nehmen eine Sichelform an. Diese Erythrozyten werden im retikulo-endothelialen System sequestriert (extravasale Hämolyse) oder führen in kleinen Gefässen zu Verschlüssen (Mikroinfarkte). Die Sichelzellanämie kommt vor allem bei Menschen aus Schwarzafrika, der Karibik und Teilen von Asien vor. In Zentralindien hat das Sichelzellgen mit 30% die höchste Prävalenz. Die hohe Prävalenz in tropischen Gebieten wird dadurch erklärt, dass HbS einen gewissen Schutz gegen Malaria bietet. Die Tatsache, dass ein tiefer Sauerstoffpartialdruck zur Sichelung der Erythrozyten führt, wird im Labor für den Sichelzelltest genutzt. Die definitive Diagnose wird mittels Hämoglobin-Elektrophorese gestellt.
Klinisches Bild:
Bei der Sichelzellanänie handelt es sich um die homozygote Form. Die heterozygote From wird Sichelzell-Trägertum ("sichel cell trait") genannt. Trotz einer Hämoglobinkonzentration zwischen 60 und 100 g/L sind die Anämie-Symptome gering, da beim HbS der Sauerstoff bei sinkendem Partialdruck früh dissoziiert und rasch ins Gewebe diffundiert. Charakteristisch für die Sichelzellanämie sind die Sichelzellkrisen. Hierbei handelt es sich um akute, schmerzhafte Episoden, die durch Verschlüsse kleiner Gefässe verursacht werden. Meist werden sie durch Infekte oder Kälteexposition ausgelöst. Von diesen Gefässverschlüssen können alle Organe betroffen sein. Bei Kindern folgt daraus typischerweise eine Wachstumsstörung sowie ein unterschiedliches Längenwachstum von Fingern und Zehen. Eine gefürchtete Komplikation ist das "Acute chest Syndrom", bei welchem pulmonale Mikrozirkulationsstörungen zu respiratorischem Versagen und dadurch zur wichtigsten Todesursache der SCA führen. Cholelithiasis als Folge der chronischen Hämolyse tritt häufig auf. Wie bei der Sphärozytose können Infektionen durch Parvovirus B19 zu aplastischen Krisen führen.
Genetische Varianten der Sichelzellkrankheit kommen durch die gemischt-heterozygote Kombination eines Sichelzellgens mit einer anderen β-Blobin-Variante zustande (HbS/β0-Thalassämie, HbS/β+-Thalassämie, HbS/HbC) und äussern sich in Sichelzell-Krankheitsbildern unterschiedlicher klinischer Ausprägung.
Hämatologie:
Im Blutausstrich finden sich charakteristische Sichelzellen sowie Targetzellen. Die Anzahl Sichelzellen kann von vereinzelten Elementen bis ca. 40% betragen. Bei Erwachsenen liegt oft aufgrund der rezidivierenden Infarkte eine funktionelle Asplenie vor. Entsprechend können Howell-Jolly-Körperchen und Pappenheimer Körperchen auftreten. Es findet sich eine Retikulozytose mit Ausschwemmung von Normoblasten, eine Polychromasie sowie eine erhöhte RDW. Die Hämolyse manifestiert sich durch eine erhöhte LDH, ein gesteigertes Bilirubin und ein supprimiertes Haptoglobin. Das HbS beträgt in der Hb-Elektrophorese typischerweise 90-95%.